IX. Wechselseitige Beziehungen, Religion und Bildung


Vom ersten Tag deren Existenz mussten sich die Kolonien nicht nur an neue klimatische Bedingungen anpassen, sondern auch mit neuen Nachbarn zu Recht kommen, die einer anderen Nationalität gehörten, Träger anderen Mentalität und Religion waren. Zarismus schaffte durch die Übereignung größerer Bodenflächen an die Umsiedler als an die Einheimischen eine Grundlage für ethnische Konfrontation.

Aber wirtschaftliche, politische und alltägliche Schwierigkeiten, die die Einheimische genauso wie Umsiedler zu treffen hatten, brachten Leute zusammen. Eine große Rolle haben dabei solche typisch für die Aserbaidschanern Eigenschaften gespielt, wie Gutnachbarlichkeit, Gastfreundschaft und Glaubenstoleranz.

Unzufriedenheit mit so einem Gang der Ereignisse äußerten mehrmals russische Machthaber und Gouverneure im Kaukasus,  die durch Einsiedlung christlicher Deutschen eine Dominanz gegenüber muslimischer Aserbaidschanern anstrebten und gehofft haben, in den Deutschen eine Stütze der russisch-orthodoxen Regierung zu erzeugen. Die gute Nachbarschaft von einfachen Menschen gewann aber die Oberhand.

Während des 1. Weltkriegs fielen die Deutschen in Ungunst der zaristischen Regierung. Sie wurden als potentielle Gefahrenquelle betrachtet, so dass 1915 vom Zar die Entscheidung getroffen wurde, dass der Landbesitz der russischen Staatsbürger deutscher Herkunft zu liquidieren sei und sie nach Sibirien und Mittelasien geschickt werden müssen. Die Nachricht über die bevorstehende Maßnahme verbreitete sich bereits im Vorfeld unter der Bevölkerung und versetzte nicht nur Deutschen sondern auch Aserbaidschaner, die die Schwere des Alltags mit ihnen teilten, in Erschütterung. Auf einer öffentlichen Versammlung in Jelisawetpol haben die Bewohner beschlossen, die Deutschen in Schutz zu nehmen und entsandten daher die hoch angesehenen Bürger der Stadt zum Empfang beim Gouverneur. Mutig wurde der Zarenerlass als Unrecht bezeichnet, das zur Empörung der aserbaidschanischen Bevölkerung führen könnte. Unter diesen Umständen sowie in Anbetracht einer Revolutionsgefahr und  komplizierter politischer Kriegslage bewirkten die aus Jelisawetpol überbrachten Wörter der Volksrepräsentanten Rücksichtnahme in der Regierung. Man ließ die Sache ruhen.

Die Geschichte kennt mehrere Bespiele, wo der Geist des Wohlwollens und der guten Nachbarschaft entgegen Regierungserwartungen, die die Religion und Kultur zur politischen Zwecken zu nutzen versuchten, Aserbaidschaner, aber auch Deutsche zur gegenseitigen Unterstützung brachten.

So haben zum Beispiel aserbaidschanische Familien zu Zeiten der stalinistischen Repressionen zahlreiche Kinder deutscher Kolonisten zur Auswanderung verholfen, bei sich versteckt, adoptiert oder sonst wie der bösen Händen der NKWD zu entkommen geholfen. Viele von denen wurden später zu herausragenden Persönlichkeiten in Lehre und Forschung.

Bild rechts oben: eine Unterrichtsstunde in der Helenendorfer Schule, 1927.
Bild rechts unten: erste Jahrgang des Deutschkurses an der Fakultät für Fremdsprachen des Aserbaidschanischen Pädagogischen Instituts, 1937. In der Mitte Gründer und Leiter I. Rach.


Aber auch früher waren deutschstämmige unter Akademiker Aserbaidschans breit vertreten. Die 1919 gegründete Universität von Baku hatte als erste Hochschule Aserbaidschans viele Vertreter der deutschen Intelligenz in eigener Professorenschaft, u.a. in Bereichen Kunstgeschichte, Arbeitswissenschaft, Orientalistik, Ethnographie, Rechtswissenschaft und Mathematik. Auch Fakultät für deutsche Sprache, die am 1. September 1937 seinen ersten Studenten aufnahm, wurde von einem deutschen Kolonisten I. Rach gegründet und geführt. Leider fielen er und viele andere deutschstämmige Professoren ebenso wie Tausende Vertreter aserbaidschanischer Intelligenz zum Opfer stalinistischen Repressionen in den späten 30er Jahren.

Sie setzten ihr Wissen, Erfahrung und Kräfte zur Ausbildung der nachwachsenden Generation der aserbaidschanischen Intellektuellen ein. Bis heute stützen sich die aserbaidschanischen Historiker auf die Werke J. I. Hummels, des Autors der ersten in Transkaukasus verfassten Arbeiten über die Eisenzeit und zum Thema Archäobotanik. Deutsche Fachleute sind bekannt auch unter den Gründer der Erdölindustrie in Baku, der Geologie des Kaspischen Meers, des Verfassungsrechts u. a.

 

Seite 12 von 14
<<<Zur Inhaltsübersicht / <Vorige Seite / Nächste Seite> / Letzte Seite>>>

 


HOME Haben Sie Gewußt? Wir Über Uns Aserbaidschan AzerInterWelle Forum Chat Gästebuch Links
Copyright © 2002-2007 - azeriler.de