IV. Die Entwicklung der Kolonien


Jahre vergingen, und die deutsche Gemeinde in Aserbaidschan wuchs heran. Wie von einer mächtigen Eiche gingen von Helenendorf, ihrem Hauptstamm, immer neue Triebe aus. So keimten, blühten und wuchsen die deutschen Kolonien auf der fruchtbaren aserbaidschanischen Erde. Mit Mut, Geschlossenheit und harter Arbeit bauten sich die ersten württembergischen Umsiedler ihre Existenz auf. Sie brachten ganze Generation von „aserbaidschanischen“ Deutschen hervor, für die das Land, das ihren Großvätern Aufnahme gewährt hatte, zur Heimat geworden war. 1914 gab es auf dem Gebiet von Aserbaidschan bereits 8 deutsche Kolonien.

Die deutschen Umsiedler waren im Alltag und Lebensweise sehr darauf bedacht, alle Traditionen und Bräuche ihrer Heimat zu wahren. In neuer Umgebung schufen sie ein Miniaturabbild ihrer Heimatdörfer. So entstanden Häuser und Siedlungen europäischer Typs, deren Anblick für die einheimische Bevölkerung so völlig ungewohnt war. „Das geregelte Netz der breiten Straßen, an ihren Rändern Pappeln, eine Kirche von Schöner Bauart…“ (Materialsammlung zur Untersuchung der Lage der Staatsbauern im Transkaukasus. Bd.2, S.89). An den gut geplanten und auf städtische Weise schnurgerade Dorfstrassen wuchsen komfortable Steinhäuser empor. 1919 zählte Helenendorf 430 Wohnhäuser. Sie trugen Züge der Gotik. Am deutlichsten kam die Gotik in der Architektur der Kirchen von Helenendorf und Annenfeld zum Ausdruck. Natürlich konnten die bescheidenen lutheranischen Kolonistenkirchen nicht an die „flammende Gotik“ der prächtigen Kathedralen in der Heimat herangehen. Doch auch sie versammelten die Kolonisten allsonntäglich zum Gottesdienst, gaben Ihnen geistige Kraft und Seelenruhe. Einige kleinere Gebetshäuser verwandelten sich später in Apotheken. Zum Ende des 19. Jahrhunderts bekam Helenendorf elektrisches Licht und ein Telefonnetz. Der erste Telefonapparat wurde im Hause des Koloniegründers Vohrers installiert.

Kaum 20 Jahre nach der Gründung von Helenendorf gab es dort bereits eine ganze Zahl von Werkstätten: 8 Schuhmacher, 4 Schneider, 8 Schmieden, 4 Tischler usw. Ein besonderer Platz kommt den Wagnereien (Wagenbauer) zu, deren Ruhm sich schnell im ganzen Kaukasus und jenseits der russischen Grenzen verbreitete. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Helenendorf mehr als 40 Wagnereien. Nicht selten kamen junge Gesellen aus den entferntesten Gegenden in die Lehre.

Bild rechts oben: eine Strasse in der Kolonie Annenfeld, Ende 19. Jahrhunderts.
Bild rechts unten: Böttcherwerkstätte bei Helenendorf.


In ihrem Handeln eigneten sich die deutschen Kolonisten oft die landwirtschaftlichen Gebräuche der aserbaidschanischen Bevölkerung an, z.B. die Methoden der Feldbewässerung, das Aryk-System der Bewässerungskanäle, Anbauarten von einheimischen landwirtschaftlichen Kulturen.

Bei ihrer Ankunft in Aserbaidschan trafen sie auf eine entwickelte Landwirtschaft. In der landwirtschaftlichen Produktion Aserbaidschans nahm der Anbau von Obst, Gemüse und Wein eine wichtige Stellung ein. Die Weingärten konzentrierten sich in den Gebieten Baku, Jelisawetpol (Gandscha) und Kasach. Neben anderen Gewerbezweigen kam in Jelisawetpol der Seidenzucht eine Sonderrolle zu. Die aus jahrhundertelanger Praxis der ortsansässigen Bevölkerung erarbeitete landwirtschaftliche Struktur des Gebietes wurde von den Kolonisten übernommen, die den Markt erkannten und mit der Herstellung von Rohseide begannen. Dank der Anstrengungen der unternehmerischen Gemeindeältesten der Kolonie Helenendorf, Wolfgang Krieger, pflanzte man im Laufe eines einzigen Jahres 70000 Maulbeerbäume an. Die Kolonisten bauten auch Tabak und Olivenbäume an. Doch die Weinstöcke drängten ihre grünen Nachbarn immer mehr zur Seite, und seit den 70er Jahren des XIX. Jahrhunderts wurde der Weinbau zur Hauptbeschäftigung der Kolonisten. Die Siedler sahen in ihm die Hauptquelle für ihren künftigen Wohlstand.

Der Ausbau des Winzergewerbes regte die Ausweitung der Böttcher-Werkstätten an. Diese waren für die Region einzigartig, wurden jedoch vorwiegend für den eigenen Gebrauch hergestellt.

 

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